Künstlerische Ambivalenz

Obliveon.deMut zur Melancholie und zum ganz großen, schweren Gefühl zeigen Sinnflut mit ihren beiden aktuellen Veröffentlichungen, den CDs „Gefüge 1“ und „Gefüge 2“. So verbinden beide Alben Poesie und Lyrik mit der musikalischen Unbekümmertheit früher Lacrimosa-Veröffentlichungen, und da die Schwarze Szene derzeit vornehmlich durch Electro bestimmt sind, stellen Sinnflut mit dieser Form der Musik beinahe schon einen Anachronismus in der Szene dar. Zeit also den Machern dieses Projekts mal genauer auf die Finger zu schauen und dabei herauszufinden, wer sich hinter Sinnflut verbirgt.

Manuel:
Wir sind „Sinnflut“ eine Zwei-Mann-Band aus Leipzig. Magnus und Manuel Bartsch – unseres Zeichens Geschwister. „Sinnflut“ existiert seit Ende 1998. Der Grund unseres musikalischen Schaffens liegt tief irgendwo in unseren Herzen vergraben – Auslöser jedoch waren die geschriebenen Texte von mir, die ich irgendwann, damals noch in Stuttgart wohnend, begonnen habe zu vertonen – und zusammen mit meinem Bruder ist es dann auch geglückt … das war die Geburtsstunde „Sinnflut’s“.

Obliveon: Würdest Du musikalische Einflüsse, Vorbilder, Inspirationen benennen?

Manuel:
Beeinflusst haben mich im musikalischen Schaffen vor allem Goethes Erben und Lacrimosa, aber auch die damaligen Werke von Bands und Musikern wie Sanguis et Cinis, Endraum oder Michael Nyman trugen ihr Übriges dazu bei. Vor allem die deutschsprachigen Künstler und Interpreten, wie z.B. Keimzeit, Erdmöbel oder Wolfsheim (Dreaming Apes ist mein absoluter Favorit) haben es mir angetan.
Bei meinem Bruder sah es aber wohl etwas anders aus …

Magnus:
Ich kann nicht behaupten, dass meine musikalischen Einflüsse mich wirklich in unseren Werken beeinflusst haben. Das Spektrum der Musik die mich beeinflusst hat, ist recht breit gefächert, aber nur wenig davon spiegelt das Genre wieder, welches wir vertreten.

Obliveon: Wie wichtig sind Euch eigentlich Eure Texte? Immerhin hat man schon den Eindruck dass die sehr wichtig sind, da ihr ja nicht gerade belanglosen „Love, Peace & Happiness“ Quatsch singt.

Magnus:
Wie gesagt, die Texte sind bei uns das A&O! Auf diesen baut quasi die Entstehung unserer Band auf. Manuel schrieb schon eine Weile Lyrik und fragte mich irgendwann ob wir es nicht mal versuchen wollten, diese Texte zu vertonen. Und so fing eben alles an. Die Texte sind demzufolge das Grundgerüst von unserem Projekt.

Obliveon: Mit „Die Königin“ habt Ihr ja sozusagen eine lyrische Neuinterpretation des Erlkönigs von Goethe geschaffen. Was war der Anreiz, der Grundgedanke dahinter? Reizen Euch solche „alten Texte“ besonders? Würdet Ihr ähnlich, noch gerne andere Klassiker neu erschaffen?

Manuel:
Natürlich sind klassische Texte (vor allem die eines solchen Kalibers) etwas ganz Besonderes. Doch so schnell werden wir uns wohl nicht noch einmal auf auf eine solche Art und Weise mit einem fremden Werk auseinandersetzen. Mit „Die Königin“ sind wir wohl wissend sehr scharf an die Grenzen des maßvollen Huldigens historischer Werke gegangen, da es ja nicht nur bei einer inhaltliche Neuinterpretation blieb. Aber genau darin bestand auch der Reiz. Wir haben uns einem literarischem Grundgerüst bedient, dem wir mit einen vollkommen neuen – vielleicht sogar gegensätzlichen – Inhalt gefüllt haben. Dabei bestand die Herausforderung darin, mit so wenig wie möglichen Änderungen der originalen Worte, inhaltlich etwas gänzlich Neues zu erschaffen, ohne dabei Reimschema und Metrum zu berühren. Letztlich resultiert die Wirkung dieses Stückes aus der Kombination des neuen Inhalts und, den in uns wohnenden, Empfindungen zu dem bekannten „Erlkönig“.

Obliveon: Wenn man auf Eure HP schaut, das Artwork Eurer Alben, oder eben auch wie Ihr selber ausseht… Denkt Ihr eigentlich über so etwas wie Zielgruppen und damit auch über Euer Erscheinungsbild nach? Wenn ja, was ist der Reiz an der von Euch angestrebten Zielgruppe?

Magnus:
Ich denke nicht dass wir eine bestimmte Zielgruppe anstreben. Nicht direkt! Wenn ich ehrlich bin, habe ich mir bisher auch darüber noch keine Gedanken gemacht. Das liegt wohl daran, dass wir Musik, Artwork und vor allem unser Aussehen nicht an irgendeine Zielgruppe anpassen.
Sicherlich erreicht unsere Musik bestimmte Menschen eher als andere, jedoch haben wir auch schon viel positives Feedback aus der nicht schwarzen Szene bekommen.
Was wohl ein Zeichen dafür ist, dass unsere Musik nicht nur Leute der Szene begeistern kann! Es sind Themen die jedermann interessieren können. Lediglich der Musikgeschmack könnte da eine Hürde sein.

Obliveon: Bei Eurem aktuellen Output „Gefüge“ fällt auf dass Ihr zeitgleich zwei CDs gemacht habt. Warum? Gibt es thematisch eine Trennung, so dass Ihr Euch gegen ein Doppelalbum entschieden habt? Wenn ja wo verläuft die? Obwohl ich ja sagen würde, dass es musikalisch schon eine Trennung gibt, da der zweite Teil der „Gefüge“ ja doch deutlich härter ist. Oder nicht?

Manuel:
Ich würde sagen, wir sind ausschließlich eine Band, die sich über den Inhalt definiert … ohne diesen wäre unsere Musik nicht denkbar! Der Grund dafür, dass gleich zwei CD entstanden sind (und nicht, wie man vielleicht vermuten würde, eine Doppel-CD), hat sowohl einen pragmatischen, als auch einen konzeptionellen bzw. inhaltlichen Aspekt. Die pragmatische Seite besteht darin, dass wir es vermeiden wollten, den Hörer zu überfordern … d.h., wir hatten Angst, dass die Länge einer Doppel-CD, aufgrund der Inhaltlichkeit und Schwermütigkeit, Unaufmerksamkeit hervorrufen und all die Worte und Noten im letzten Drittel in den unvermeidlichen Wahrnehmungshintergrund verdrängen würde. Wir haben uns also entschlossen den finanziellen Mehraufwand auf uns zu nehmen, um die Aussagen im Vordergrund zu halten. Hier sind wir auch schon beim konzeptionellen bzw. inhaltlichen Aspekt angelangt. Dieser erbrachte Mehraufwand hatte nämlich auch die Projektion und Steigerung der inhaltlichen Aussage nach außen zur unmittelbaren Folge. Mit der materiellen Aufsplittung entstand für uns eine neue Möglichkeit die gewollte Ambivalenz beider Alben gezielter zum Tragen zu bringen. Einerseits ein gewisses Maß an Eigenständigkeit, andererseits eine enge Verflechtung zum jeweils anderen Teil – inhaltlich sowie musikalisch.

Obliveon: Kann man die Beiden CDs also unabhängig voneinander hören, oder baut die Eine dann doch auf die Andere auf? Als Empfehlung vielleicht. Würdet Ihr sagen dass es besser wäre die Beiden CDs in der Reihenfolge zu hören, oder wolltet Ihr doch die Möglichkeit geben, je nach Lust die Eine oder die Andere zu hören?

Manuel:
Es ist in erster Linie wirklich ein gegenseitiges Ergänzen. Jeder Teil entfaltet seinen eigenen Reiz, jeder Teil kann einzel für sich existieren und trotzdem fügen sich beide nahtlos an- und ineinander.

Magnus:
Es ist also jedem selbst überlassen in welcher Reihenfolge er sich die Werke anhört! Man kann sich jede CD einzeln vornehmen und vermutlich wird einem auch nichts fehlen – aber, wie schon gesagt, ergänzen sich beide Alben (deshalb ist es ja auch kein Doppelalbum geworden!). Auf welche Weise allerdings, soll dann jeder selbst herausfinden.

Obliveon: Kann man es eigentlich Idealismus, oder sogar Wahnsinn nennen, in einer Zeit wo alles oberflächlicher wird, sich gerade auch in der „schwarzen Szene“ immer mehr Musiker hitgarantierten Platitüden hingeben, solch ein tiefgehendes, anspruchsvolles Werk zu schaffen? Ich meine wie viele Leute haben Euch vielleicht schon gesagt, dass Ihr zu schwer, zu überfrachtet seid? Oder eben auch nicht? (In die Richtung zielte auch die Frage inwieweit es Euch vielleicht sogar egal ist, ob Ihr eine Zielgruppe erreicht oder nicht! Was Ihr für Euch mit SINNFLUT erreichen wollt)

Magnus:
Man muss ja nicht jeden Trend mitmachen! …

Manuel:
Besser kann ich es eigentlich gar nicht auf den Punkt bringen. Erst kürzlich habe ich einen „Alt-Punker“ gesehen, der Trug ein T-Shirt mit der Aufschrift „GEGEN GEGEN“. Er bleibt seinem Ideal „dagegen zu sein“ treu und wir machen eigentlich nichts anderes. Wir sind Teil dieser Szene geworden, weil wir uns in dieser aufgehoben gefühlt haben so, wie wir selbst waren – warum sollten wir uns dann aus dieser Behaglichkeit heraus begeben und verändern, nur weil es der Großteil der Szene tut. Ok, nennen wir es also „Idealismus“.

Obliveon: Wie sieht die Zukunft von SINNFLUT aus? Gibt es Pläne für Liveumsetzungen? Wenn ja, wie kann man sich die vorstellen. Denn ich denke dass es bei dieser Art von Texten und Musik schon ziemlich schwer ist das Publikum gerade live nicht zu langweilen.

Manuel:
In der Tat ist es nicht einfach. Es bestehen schon seit geraumer Zeit Konzepte und Ideen einer mgöichen Live-Darbietung, doch primär hindert uns unser eigener zeitlicher Spielraum daran, diese auch in die Tat umzusetzen. Vielleicht stimmt ja das Sprichwort „Gut Ding will Weile haben.“!

Thomas Sabottka
www.obliveon.de – 26.06.2004