In unserer schnelllebigen Zeit

In unserer schnelllebigen Zeit, wo sich die Szene immer mehr den Kommerz verfällt, ist es sehr schwierig Musik zu finden, wo man sich zurücklehnen kann und sich in einer Welt der Hoffnung und auch der Einsamkeit fallen zu lassen. Bei Sinnflut trifft gute Old-Shool Musik auf Lyrik hohen Niveaus zusammen. Aber lest selbst …

Moon-Silence: Hallo ihr zwei. Danke für das Interview. Erzählt doch erstmal wie lange ihr schon Musik macht, und warum. Einer der Gründe ist ja, die Texte von Dir, Manuel, zu vertonen, richtig?

Magnus:
Ich würde sagen, es ist nicht einer der Gründe, es ist DER Grund.

Manuel:
… und in jedem Falle der ursprünglichste Grund. Jedoch ist heute wohl nur noch letzterer geblieben, denn ich kann nie und nimmer mehr behaupten, die Musik nur als Medium für meine Texte zu benutzen. Dafür ist sie im Laufe der Jahre zu sehr in meine Lyrik hinein gewachsen, obwohl ich die Texte noch immer frei von musikalischen Ideen schreibe und sie vor der Vertonung vollende. Es sind und bleiben eigenständige Gedichte.

Musikalisch sind wir beide seit Anfang 1998 mit Sinnflut tätig geworden. Es ist also unsere erste und bisher einzige Band.

Moon-Silence: Was man auch hervorragend merkt wenn man sich Band 1-3 anhört. Die Qualität hat bei jedem Album stetig zugenommen, und auch die Abwechslung. Dieses „reifer werden“ vermisse ich doch bei vielen anderen Bands. Da geht es eher umgekehrt zu Werke!

Manuel:
Ja stimmt, es gibt viele Bands – und das ist bei weitem nicht auf unsere Szene begrenzt – bei denen man den Eindruck hat, dass sie entwicklungstechnisch stehen bleiben (wobei diese Einschätzungen immer auch sehr stark subjektiv geprägt sind). Mir scheint es allerdings, das dies vor allem bei populäreren bzw. populär werdenden Bands vermehrt auftritt. Vielleicht ist in der Zeit der Marktwirtschaft und des Musikalischen Kommerzes kein Platz für ein künstlerisches Reifen. Vielleicht fehlt ja im Zuge des hohen Release-Druckes von Seiten der Label die Zeit, einen Schritt weiter zu gehen? Nach meiner Auffassung braucht die Kunst die Zeit – denn in der Ruhe liegt schließlich die
Kraft …

Moon-Silence: Eure Musik erinnert sehr stark an die alten Lacrimosa und Goethes Erben CDs. Ist diese Ähnlichkeit beabsichtigt, und fühlt ihr Euch von den zwei Bands beeinflusst?

Magnus:
Dieser Vergleich wird sehr oft herangezogen um unsere Musik in irgendeine Kategorie einzuordnen. Wir selber sind der Meinung, dass dies grob betrachtet schon zutreffen kann. Es ist eben die erste Assoziation die dem „Durchschnittsgrufti“ (ist nicht abwertend gemeint!) einfällt. Wer sich mit der Musik aber intensiv beschäftigt, was sowieso nötig ist, der wird feststellen, dass dies nicht der Fall ist.

Manuel:
Genau. Der Grund, dass musikalisch der ein oder andere Vergleich gezogen wird, ist meines Erachtens der, dass ich die Herangehensweise und die Ästhetik dieser art von Musik unheimlich liebe und verehre. Und wir versuchen eben die Musik zu machen, die uns gefällt …
Ich selbst aber kann allerdings nicht verleugnen, dass ich von beiden genannten Bands geprägt worden bin (aber es waren bei weitem nicht die einzigen!) denn schließlich bin ich mit ihnen aufgewachsen.

Magnus:
Ich höre zwar auch Lacrimosa und Goethes Erben, aber viel mehr Electro und Rock. Wenn man davon ausgeht, müsste sich die Musik etwas anders anhören. Es ist eben die Musik die zu den Texten passt.

Moon-Silence: Die Ähnlichkeit, gerade zu Lacrimosa, kommt besonders in Band 2 – Wortlosigkeit zum Vorschein. Der Song „Allein“ erinnert einen doch sehr stark an „Einsamkeit“. Die Texte von Tilo Wolff sind bekanntlicherweise auch sehr „um die Ecke“ geschrieben, und lassen viel Interpretationsfreiheit. Meint ihr das, was ihr meint, so wie ihr es schreibt?

Manuel:
Ich meine, dass ich es so meine, also „Ja“! Obwohl mir da mein Bruder immer widersprechen möchte.

Magnus:
Genau, ich bin der Meinung, dass auf den ersten Blick Manuels Texte mehrdeutig gesehen werden können. Wenn man aber das Stück in seiner Gesamtheit betrachtet, werden bei einer abweichenden Interpretation inhaltliche Lücken erkennbar. Somit ist jene Interpretation zutreffend, welche sich in allen Passagen des Textes widerspiegelt.

Manuel:
Dabei sind aber ein paar Dinge zu beachten. Erstens versuche ich die Inhalte, die ich preisgeben möchte, in eine abgeschlossene möglichst vollkommene Form zu bringen. Also ein Gedicht zu schreiben, welches nun einmal einen gewissen Anspruch an die deutsche Sprache heranträgt. Zweitens soll es auch entsprechend klingen, so dass schon im Wortlaut selbst die inhaltliche Stimmung zur Geltung kommt. Des weiteren entscheide ich, wie präzise oder schemenhaft eine jeweilige Situation dargestellt wird. Wie viel Interpretationsspielraum also bleibt (auch wenn man hier und da die ein oder andere Überraschung erlebt). Ich möchte nicht möglich kryptisch oder „um die Ecke herum“ schreiben. Und wenn du Magnus fragst, wird er dir bestätigen können, dass sobald man den richtigen Ansatz gefunden hat sich jedes Wort fast wie von alleine auflöste, also in die Aussage eingeht. Da ich mir dennoch der Lage bewusst bin, das meine Texte nicht auf Anhieb von jedem verstanden werden (ich wüsste nicht einmal ob ich es könnte wenn ich einen Text von mir bekäme, den ich vorher noch nie gelesen hätte – aber ich glaube, das wird so schnell nicht passieren …) oder hier und da eine andere Sichtweise erlauben, ist auch in mir das Ziel erwachsen mit Hilfe der Musik bzw. der Vertonung das Verständnis bzw. den Zugang zu meinen Inhalten ein wenig zu erleichtern, ihn also transparenter zu gestalten und in gleichem Atemzug einer größeren Hörerschaft zu widmen. Auch, wenn die kalten Ohren immer unbarmherziger zu werden scheinen.

Moon-Silence: Durch etliche, nächtliche Telefonate merke ich, dass ihr eigentlich doch ziemliche Frohnaturen seid. Werden die Texte und die Melodien als Ventil für Eure Traurigkeit benutzt? Diese Art von Traurigkeit die jeder Mensch in sich trägt?

Magnus:
Das kann sein, wäre dann aber unbewusst. Es geht (zumindest mir) darum die Texte zu vertonen. Da die Texte nun mal einen melancholischen Touch haben wird die Melodie meist ebenfalls so gestaltet. Vielleicht ist es auch das Genießen der intensiven Gefühle die man beim lesen der Texte, beim Schreiben und hören der Musik empfindet.

Manuel:
Ich weiß nicht (oder vielmehr ich hoffe nicht), ob jeder Mensch diese Traurigkeit in sich trägt, aber natürlich ist es ein Ventil. Ich denke, jede art von Kunst und Kreativität ist ein Ventil für Emotionen – egal welcher Art. Ob wir wirklich „Frohnaturen“ sind, kann ich dir nicht sagen – das muss jeder der uns kennen lernt selbst entscheiden.

Moon-Silence: Lange Zeit wart ihr ja räumlich getrennt. Manuel in Stuttgart, Magnus in Leipzig. Demnächst wird es wohl ne Weile umgekehrt sein. Wie sieht da die Bandarbeit aus? Das letzte Album liegt ja nun auch wieder zwei Jahre zurück. Und warum ausgerechnet Leipzig und Stuttgart? Leipzig ist so mega überfüllt, und eigentlich gar nicht schön, wie wohl jede Stadt in Sachsen.

Magnus:
Bitte!?! Das will ich überhört haben (ich bin nämlich gebürtiger Leipziger)! Leipzig ist eine Wunderschöne Stadt!! Sowieso die Schönste in Sachsen. In den letzten Jahren hat sich dort eine Menge getan. Ich würde eher Städte wie Berlin und als mega überfüllt beschreiben.
Jedenfalls kommen wir beide aus Leipzig. Manuel ist dann wegen eines Studiums nach Stuttgart gezogen. Ich bin ihm dann im Zuge des Zivildienstes nach Stuttgart gefolgt um unsere Arbeit etwas intensivieren zu können. Jetzt versuchen wir beide wieder nach Leipzig zurückzukehren. …ist eben doch die schönere Stadt…

Manuel:
Ich hoffe, das die Trennung die vor uns liegen könnte nicht kommen wird. Bisher hat es zwar funktionier, aber es ist immer sehr schwer. Man wird sich dann in Ferienzeiten sehen und an Dingen arbeiten, die eben alleine vorbereitet wurden …
Was Leipzig betrifft – ich finde auch, dass es eine sehr schöne Stadt ist. Die Attribute „gar nicht schön“ und „überfüllt“ passen dagegen wohl eher zu Stuttgart! (Anm. d. Red.: Mittlerweile wohnen beide in der Leipziger Innenstadt und sind fleißig beim musizieren…)

Moon-Silence: Welche Städte findet ihr denn noch schön? Ich finde doch das Köln und Berlin etwas für sich haben. Obwohl mir auch dieser Mannheim/Ludwigshafen Doppelpack sehr gut gefällt. Bestimmt auch deswegen weil praktisch daneben die Kleinstadt Limburgerhof liegt. Diese Stadt ist nämlich richtig DDR-Style! Denn diese Stadt ist durch eine Mauer durchzogen. Auf der linken Seite sind die ganzen Ladenstraßen und Hochhäuser, während bei der rechten nur Eigentumshäuser von Ärzten, Anwälten und sonstige hohe Tiere stehen. Diese Abtrennung hat irgendwie was…

Manuel:
So richtig lange war ich leider noch in keiner Stadt außer Stuttgart und Leipzig, so dass ich mir ein Urteil erlauben könnte. Aber ich denke doch, dass jede Stadt auch etwas Liebenswertes hat, so dass man sich wohl fühlen kann … (selbst Stuttgart!)

Magnus:
Geht mir eben so.

Moon-Silence: Gibt es die ewige Liebe? Und was für einen Stellenwert hat der Tod in euren Leben?

Manuel:
Natürlich gibt es sie! Doch wir müssen aufhören mit Scheuklappen in die Welt zu blicken und uns gewahr werden, dass es sich nicht immer um Menschen handeln muss, wenn es um die ewige Liebe geht …!

Magnus:
Ewige Liebe…Ich weiß nicht, ob ich die Frage ehrlich beantworten kann.

Manuel:
Und welcher Stellenwert der Tod für uns hat? Ich denke, er liegt immer griffbereit – er ist bewusster Bestandteil unseres Lebens. Wir setzen uns mit ihm auseinander und wir wissen, dass er das Leben im Sinne der Biologischen hier begrenzt …

Moon-Silence: Mir fällt auf, das es einige Texte von Euch gibt, die sich um Kindesentführung- und Vergewaltigungen drehen …

Magnus:
Welche?

Manuel:
Wobei wir wieder beim Thema Überraschungen wären und bei den unterschiedlichen Sichtweisen. Ich vermute fast, du meinst „Das Lachen“ – doch um Entführung der Person und körperliche Vergewaltigung geht es dort nicht.

Moon-Silence: Ja, ich meine „Das Lachen“ aber auch „Die Königin“. Zumindestens höre ich bei „Die Königin“ eine Entführung heraus.

Manuel:
Wenn ich präzissieren darf, dann würde ich sagen eher eine „Verführung“ (des Vaters) und ein „Verlassen“ (des Kindes).

Moon-Silence: Was wird es eigentlich in Zukunft von Sinnflut geben? Ich hörte da einige Stimmen die besagten, das es ende dieses Jahres ein Doppelalbum gibt. Erzählt mal was drüber!

Manuel:
Nun, wenn alles so funktioniert, wie wir es uns vorgestellt haben, dann wird es gegen Ende des Jahres eine konzeptionell gefasste Doppelveröffentlichung geben (– wir werden natürlich auf unserer Homepage rechtszeitig Bescheid geben!). Auch ist der Unterschied Doppelalbum und Doppelveröffentlichung wichtig. Es sind nämlich zwei aufeinander folgende Alben (also Teil 1 und Teil 2), die inhaltlich zusammen gehören. Sicherlich ist die Frage gerechtfertigt, warum es das ganze nicht in einem Stück geben wird. Zwei Faktoren waren dafür ausschlaggebend: Erstens unterstreicht es die inhaltliche Gesamtaussage. Zweitens wollten wir unseren Hören nicht so viel neues auf einmal zumuten. Es befindet sich immerhin zusammen über 1,5 Stunden Musik auf beiden CD’s (ohne Versionen älterer Stücke!) und unserer Meinung nach braucht es Ruhe, Geduld und Aufmerksamkeit, den Inhalt und die Aussage der Stücke zu erfassen. Nach einer CD sind diese Reserven erst einmal aufgebracht und der Hörer muss die Chance haben, das ganze erst einmal zu verdauen und zu verarbeiten … für alle die sich dennoch nicht daran halten wollen oder es nicht abwarten können, wird es natürlich auch ein entsprechend günstigeres Bündel mit beiden Alben geben.

Magnus:
Kurz gesagt: Es wird toll !!!

Moon-Silence: Von diesen Doppelalbum gibt es ja die Vorabversion von „Die Königin“ auf unseren Sampler. Wie gefällt euch die Tracklist? Ich finde doch, das der Sampler ein super Potential in sich hat. Besonders wenn ich da an Projekte wie Autumn Death und Obsidian Voice denke.

Manuel:
Ich finde sie absolut Spitze!!! Was ihr da für hochqualitative Beiträge an Land gezogen habt … und das für den Preis … alle Achtung! Es wäre schön wenn ihr damit nicht die einzigen wärt. Schließlich sieht man ja das es funktioniert! Aber auch die Auswahl finde ich sehr gut gelungen – Abwechslungsreichtum kombiniert mit einem ausgewogenem Tracklisting.

Moon-Silence: Und bevor jetzt gemckert wird: „Ja, dass müssen die ja sagen. Die gehören ja dazu…“ muss man schon sagen, dass dies deine ehrliche Meinung ist, oder?

Manuel:
Auf jeden Fall.

Beantwortet zum Schluß doch mal folgende Fragen: Captain Kirk oder Captain Picard?

Magnus:
Picard! Er wirkte immer souveräner und intelligenter als der liebe Kirk und musste nie seinen Bauch für die Dreharbeiten einziehen. Außerdem fand ich es toll, das die Frauenheld Persönlichkeit des Kapitäns in den „Das nächste Jahrhundert“ Folgen auf den 1. Offizier übergegangen ist. Das hat ihn um einiges Professioneller werden lassen.

Manuel:
Nach dieser Antwort traue ich mir nichts mehr zu sagen.

Moon-Silence: Die Flintstones oder die Jetsons?

Magnus:
Jetsons hab ich nie gesehen. Ich mag aber die Flinstones nicht. Von daher würde ich vermutlich für die Jetsons plädieren

Manuel:
Flintstones

Moon-Silence: Yogi Bär oder Garfield?

Magnus:
Garfield! Yogi Bär ist einfach dämlich! Garfield dagegen schafft es immerwieder durch List seine Ziele durchzusetzen und dem Hund eins auszuwischen.

Manuel:
Garfield

Moon-Silence: Eure Meinung zu Bernd das Brot? *lacht*

Magnus:
Nie gesehen.

Manuel:
Das war ja zu erwarten! – Ich würde sagen: „Guten Appetit!“

Moon-Silence: Superman oder Batman?

Magnus:
Batman

Manuel:
Lois & Catwoman

Chris Pohl oder gutes britisches englisch? (Anm. d. Red.: Das musste ja noch kommen!)

Manuel:
Lieber ein vernünftiges Vanille-Eis!

Magnus:
Schoko ist auch nicht zu verachten!!!

Moon-Silence: Danke für das Interview. Letzte Worte? Letzte Erkenntnisse? Oder doch nur… Stille?

Manuel:
Die Stille müsste eigentlich am Anfang kommen, denn oftmals sagt sie mehr, als man vermutet …

Moonchild
Moon-Silence – 26.09.2003