Die Poesie des Wortes, die Macht der Empfindung

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„Mächtiger als Zeit und Raum sind wir – die Menschen – dirigiert durch unsere Emotionen, Empfindungen. Doch ist der frei, der ihnen entkommt?“ fragen Sinnflut im der CD beiliegenden Info. Eine Frage, die zwar jeder für sich selbst beantworten muss, bei der Sinnflut mit ihrem dritten selbstfinanzierten Album „Das Vermächtnis“ jedoch Entscheidungshilfe zu leisten im Stande sind, vorausgesetzt, man gönnt sich die Zeit und die Aufmerksamkeit, den Kompositionen und nicht minder wichtgen und poetischen Texten die ihnen gebührende Aufmerksamkeit zu schenken.

Sinnflut, das ist das Musikprojekt von Magnus und Manuel Bartsch – Brüder also -, die trotz ihres noch recht jungen Alters bereits eine erstaunliche Reife und Intensität im Umgang mit der deutschen Sprache an den Tag legen, die in der heutigen Musiklandschaft der Schwarzen Szene in dieser Form nur noch von Bands wie Goethes Erben, Das Ich oder Lacrimosa gepflegt wird. Während sich Magnus, der jüngere der Beiden in erster Linie für die Kompositionen verantwortlich zeichnet, bilden die Gedichtbände und der umfangreiche Fundus der Gedichte von Manuel die lyrische Grundlage Sinnflut´s, wobei die Empfindungen und Emotionen im Mittelpunkt der Aussagen stehen und sich mit der Musik zu einer stimmigen und bewegenden Einheit verbinden.

Obliveon: Was war das auslösende Moment solch ein intensives Projekt aus der Taufe zu heben?

Magnus:
So weit ich mich erinnere, gab es keinen definitiven Punkt an dem unser Projekt Sinnflut entstand. Vielmehr war es die Idee von Manuel mal ein paar seiner Texte zu vertonen.
Nachdem der erste Titel („Revue“ vom „Band 1 – Vergessene Melodien“) fertig war, hatten wir beide Blut geleckt und wollten einfach mehr.

Manuel:
Genau, der auslösende Moment war im Grunde also gar keiner! Er war eher eine Entwicklung, ein Prozess: Seit ca. 1995 schreibe ich Gedichte und Texte und während all dieser Zeit begannen sich meine Worte zu melodisieren – ganz von selbst und in meinem Kopf. Irgendwann einmal versuchte ich dann der ein oder anderen Strophe ein wirkliches Gewand zu geben, doch diese Versuche, die einzig rudimentäre Ansätze hervorbrachten, waren noch lange nicht die eigentliche Geburt eines Musikgedankens. Parallel zu diesen Ansätzen nämlich suchte ich immer wieder nach einer Möglichkeit meine Texte in eine der Gesellschaft zugänglicheren Form zu präsentieren, denn die Resonanz in meiner Umwelt war eher verschwindend als wirklich vorhanden. Ich suchte also nach einem weiterführendem Medium um meinen Gefühlen und Ansichten ein Publikum zu verschaffen. Gerade im Auseinandersetzen mit lyrischen Musiktexten wie z.B. von Goethes Erben, Lacrimosa, oder auch Stendal Blast, die ich etwa 1997 kennen lernte, wurde mir die Musik als Transportmittel für tiefere Emotionen eigentlich erst bewusst und irgendwie blieb dann ein Gedankenfetzen in mir haften, der wieder und wieder zum Vorschein kam. Eine reichliche Zeit später nahm ich die ersten gesanglichen Ideen auf Kassette auf und begann immer gezielter nach Menschen zu suchen, die mich in musikalischer Hinsicht begleiten und vor allem auch unterstützen wollten. In etwa diesem „Moment“ kam mein Bruder Magnus ins Spiel. Ich wusste um seine musikalischen Fähigkeiten und bat ihn, mir bei einer kleinen Melodie zu helfen … und das war dann wohl der Ursprung! In einem nun relativ kurzem Zeitraum entstand nun nach und nach definitiv Musik und nachdem es die technischen Voraussetzungen möglich machten auch die ersten fertigen Songs. Letztendlich, da die Ideen und die Lieder mehr und mehr wurden, sahen wir es als beschlossen, das Musikprojekt offiziell als gegründet zu betrachten und wir begannen uns auf die Suche nach einem Bandnamen zu machen.

Obliveon: Sinnflut, finde ich, ist ein toller Name für eine Band dieses Genres, der unglaublich viele Assoziationen ermöglicht. Was verbindet ihr mit dem Begriff der Sinnflut, der Überflutung der Sinne?

Manuel:
Assoziativ bestimmt, leider aber zu oft missverstanden. „Sinnflut“ ist ein Kunstwort aus „Sinn“ und „Flut“, leider wird es zu oft mit dem biblischen Wort „Sintflut“ verwechselt (wahrscheinlich aus dem Unwissen heraus, wie es geschrieben wird – doch das passiert selbst Christen, die sich damit eigentlich auskennen sollten). Dennoch ist uns die Assoziation mit dem Glaubensbegriff weder unangenehm, noch ist sie für uns überraschend (lediglich die weitverbreitete Unwissenheit das es einen Unterschied gibt, ärgert uns), denn wir wussten natürlich um die Wortverwandtschaft und als Gegner der Institution Kirche nutzen wir diese bezeichnende Nähe auch. Im Ursprünglichen bedeutet „Sinnflut“ für uns eine Flut der Sinne bzw. das Fluten der Sinne – nicht aber die Überflutung derer (wenn „überfluten“, dann sind es die Gefühle selbst, die aus den Ufern treten, weil sie zuviel geworden sind). Von der Gewalt des Wortsinnes her trifft es die Sintflut hier ganz gut. „Sinnflut“ versucht nämlich den Moment, in denen ein Mensch von seinen Sinnen überflutet wird und in denen er ohne weiteres untergehen kann, einzufangen – sowohl in Wort, als auch in Ton. „Sinnflut“ soll dabei auch ausdrücken (und umsetzen), wie gewaltig Empfindungen sein können, wie tief, dunkel und wie zerstörend. „Sinnflut“ beschreibt den Menschen kurz vor, während, oder nach einem seiner empfindlichsten, blossesten Momente – nämlich jenen, in dem seine Gefühle die Oberhand gewinnen bzw. er sie auf sich zukommen sieht und sie ihn überlaufen – gnadenlos, gewaltig und rücksichtslos.

Magnus:
Zu guter Letzt soll der Name außerdem auf unseren Anspruch an den Zuhörer hinweisen. Um unsere Musik zu verstehen muss man sich ihr hingeben. Sie ist halt nichts zum „nebenbei hören“.

Obliveon: Wäre Sinnflut auch in einer anderen Konstellation als der zweier Brüder denkbar? Wo liegen die Vor-, wo die Nachteile in dieser Bandkonstellation?

Magnus:
Ich denke, dass wir beide ein Stück von Sinnflut sind und das Projekt ohne einen von uns nicht das selbe wäre. Jedoch ist eine Konstellation mit weiteren Musikern durchaus denkbar, da wir uns durch neue Ideen und Erfahrungen nur weiterentwickeln können. Der größte Vorteil dieser Konstellation besteht wohl darin, dass wir einfach gut miteinander harmonieren. Ein Nachteil (der auch gleichzeitig ein Vorteil sein kann) ist, dass wir beide genau wissen, wie man den anderen zur Weissglut treibt. Daraus ergibt sich, dass wir uns eben ab und zu in die Haare kriegen (was aber in jeder Band vorkommt). Doch diese Streitereien werden schnell wieder beigelegt. Wir können uns halt nicht lange böse sein.

Manuel:
Ja stimmt, „harmonieren“ ist der richtige Ausdruck – Scheinbar ist es so, dass der eine eine Melodie andenkt oder auch anstimmt und der andere sie fortführt wie es dem anderen in Gedanken vorschwebte, ohne das er diese je geäußert hätte. Aber ebenso ergänzen sich unsere Eigenschaften auch sehr gut – Magnus ist eher der Musikalische Kopf und der Rhythmusgeber – ich hingegen der ausdauernde und antreibende, der der arrangiert und versucht zu perfektionieren. Wir sind einfach ein sehr gutes Team!

Obliveon: Ihr benutzt auf „Band 3 – Das Vermächtnis“ ganze eine Reihe klassischer Instrumente. Habt ihr demnach so etwas wie eine Musikausbildung im klassischen Sinne genossen oder würdet ihr euch als Autodidakten bezeichnen?

Manuel:
Ich für meinen Teil habe leider über die musikalische Schulausbildung hinaus keine weitere genießen können. Ich komponiere einzig mit meinem Gehör, meinen Gefühlen und viel Geduld. Letztere strapaziere ich das ein oder andere Mal, da ich auch nicht sagen kann, dass ich wirklich ein Instrument beherrsche bzw. spielen kann.

Magnus:
Ich habe 4 Jahre ein Musikinstrument erlernt. Dies liegt zwar schon länger zurück, hat mir aber trotzdem viel beim komponieren geholfen. Perfekt beherrsche ich auch kein Instrument, doch im Gegensatz zu Manuel hatte ich, durch meine Vorkenntnisse, keine großen Probleme Lieder am Keyboard zu schreiben.

Obliveon: Auf eurer sehr liebevoll gestalteten Homepage heisst es: „Wir verstehen unsere Musik als eine Vertonung von Poesie und Emotionen, die in ihrer Einheit bewegen soll – eine Sinfonie mit dem Ziel der menschlichen Berührung“. Wie erreicht man mit Hilfe musikalischer Mitteln diese Einheit? Wann fühlt es sich für euch im Kompositionsprozess „richtig“ an um mit einem Lied abzuschließen?

Manuel:
Wir versuchen die Instrumente für sich sprechen zu lassen! Erst, wenn die Noten dasselbe sagen wie die Worte und beide sich ergänzen, dann kann eine Einheit entstehen. Alles in allem sind den musikalischen Mitteln deshalb keine Grenzen gesetzt – obwohl wir uns zwar überwiegend dem klassischen Instrumentensortiment bedienen, sind wir dennoch modernen, wie auch ebenso experimentellen Instrumentierungen aufgeschlossen – solange sie es schaffen eine Atmosphäre zu errichten, aus der die Worte des Gesangs und des Herzens geboren worden zu sein scheinen. In letzter Konsequenz folgt für uns schließlich daraus, dass ein Lied erst dann beendet ist (sowohl kompositorisch, als auch zeitlich), wenn alles gesagt wurde. Außerdem muss einem Ende immer ein Beginn vorausgehen – das mag jetzt sicher sehr banal klingen, beinhaltet aber, dass unabdingbar ein geschlossenes Szenarium beschrieben bzw. eine komplette Geschichte erzählt wird, in die sowohl eingeführt, d.h. auf sie eingestimmt, als auch herausgeleitet wird. Anfang und Ende sind also sehr wichtig.

Magnus:
Kurz gesagt: Wir arbeiten so lange an den Titeln bis dieses Gefühl da ist, das uns sagt: „Das ist es!“ Ist dieses Gefühl nicht da, machen wir eben weiter.

Obliveon: Im Info zur CD heisst es: „Sinnflut ist also nicht nur tragende Melancholie, sondern fast schon depressiv…“. In der Tat erlaubt und verlangt die Musik auf „Band 3 – Das Vermächtnis“ die bedingungslose Hingabe zu diesen düsteren Stimmungen, in der offensichtlich kein Platz für die positiven Seiten des Lebens ist. Ist demnach die Kultivierung depressiver Stimmungen das höchste Ziel Eures künstlerischen Ausdrucks oder erlaubt ihr euch auch schon mal fröhlichere Stimmungen, sowohl in musikalischer als auch in textlicher Hinsicht?

Manuel:
„Sinnflut´s“ Texte werden wahrscheinlich nie an eine Grenze heran kommen, an der man sie auch nur annähernd als „fröhlich“ bezeichnen könnte – wohin gegen bei meinen Texten als Autor der Gedichtbände schon eher einmal das ein oder andere Stück als „positiv“ wenn auch nicht gleich als „fröhlich“ beschrieben werden könnten. Die Song-Texte sind also immer nur eine Auswahl aus meinen Gedichten. Nichts desto trotz hat es natürlich auch einen und um genau zu sein zwei bestimmte Gründe eben diese auszuwählen. Der erste hat mit der Bedeutung der Empfindungen „positiv“ und „negativ“ zu tun, der zweite dann mit meinem Grundverständnis des Sinns Musik zu machen. Was der Duden über die Bedeutungen von „positiv“ und „negativ“ zu sagen hat, brauche ich wohl nicht näher erläutern. Ich selber allerdings kann bei einem Musikstück, einer Geschichte oder auch einem Film, der düster, depressiv und der demnach weitläufig als negativ dargestellt wird aber etwas ganz anderes finden: Eine lebensbejahende Aussage! Für mich ist das kein Widerspruch. Ich denke, dass man durch solch traurige, nachdenkliche Aussagen, wie sie in unseren Liedern getroffen werden, Kraft finden kann Depressionen zu überwinden und demnach der Gesamtaussage eine positive Wirkung entnehmen zu können. Oftmals gelange ich selber aus erdrückenden Stimmungen erst dann zum Licht zurück, wenn ich zuvor noch tiefer gehe, wenn ich mich mit meinen Gefühlen konfrontiere und die Auseinandersetzung suche. Es entsteht dann eine Art „jetzt erst recht“ – Gefühl. Es ist irgendwie wie Achterbahnfahren – man muss, um einen Berg hinauf zu kommen erst Schwung holen, indem man das Tal passiert. Vielleicht ist es schwer zu verstehen, aber in zweiter Instanz sind die Lieder Sinnflut´s für mich auch eine Hommage ans Leben. Die zweite Ursache, die aufgrund der Textauswahl immer wieder zu „fast depressiven“ Stimmungen führt, ist jene, dass Musik für mich einen ernsten Kern besitzen sollte. Auf so blumige Musik stehe ich einfach nicht und die Musik an sicht ist mir einfach viel zu wertvoll, sie mit „Banalitäten“ zu vergeuden. (An dieser Stelle muss ich unbedingt hervorheben, dass ich ausnahmslos jede Musik als künstlerische Ausdrucksform schätze und respektiere, und dass aufgrund dessen ich auch jeder Art von Musik ihre Berechtigung zugestehe.) Natürlich bedeutet Ernsthaftigkeit nicht gleich Trauer, aber für mich ist traurige, melancholische Musik auch immer die mitreissenste, also die, die am meisten Gefühle übermittel kann und die, die es schafft die meisten Menschen bewegen. Und „Sinnflut“ möchte die Menschen emotional bewegen und berühren. Der Nachteil liegt allerdings nur darin, dass zu wenig Menschen wirklich bereit sind sich dieser Seite der Gefühle zu öffnen und sich mit diesen auch auseinander zu setzen, statt sich vor ihnen zu verschließen. Die Schattenseiten und der Tod gehören eben genauso mit zum Leben dazu wie die sonnigen – wer sich ihnen beschneidet, verliert auch unendlich viel vom Leben selbst. Man könnte daher schon sagen, dass das Gesellschaftsfähigmachen depressiver Stimmungen eines unserer Bestrebungen, wenn auch nur eines eher beiläufigen, ist.

Obliveon: Weiterhin heisst es im Info: „…wir fordern vom Zuhörer selber Bereitschaft die Musik aufzunehmen, sie verstehen zu wollen.“ Denkt ihr nicht, dass ihr eure Zuhörerschaft mit solch einem Ansinnen vielleicht sogar überfordert? Wie versteht und definiert ihr selbst Eure Musik? Als Ventil dafür, eure persönlichen schwermütigen Stimmungen zu verarbeiten, oder ist es euer höchster Anspruch, Musik zu erschaffen, die schwermütiger und erdrückender nicht sein kann?

Magnus:
Ich denke nicht, dass wir mit unserer Musik jemanden wirklich überfordern. Wer unsere Musik verstehen will, wird eine Interpretation der Texte finden. Selbst wenn dies jemand auf Anhieb nicht schafft (so wie es selbst mir manchmal geht), kann die Musik durch ihren engen Bezug zum Text als Gehhilfe auf dem Weg zum Inhalt dienen. Sie ist also so eine Art Interpretationshilfe.

Manuel:
Allerdings wollen wir unsere Musik keinesfalls darauf reduziert wissen, denn sie ist sehr viel mehr als das! Sie ist trotz der Textlastigkeit ständig gleichberechtigt – und mehr noch, sie vertritt ohne Unterlass den Anspruch, parallel zur Sprache den Inhalt der Texte eigenständig zu übermitteln. Nur so könnten auch rein instrumentale Stücke entstehen. Als Ventil verstehen wir Sinnflut allemal. Jede Kunstform stellt irgendeine Form einer Ventilfunktion dar. Doch neben dem verarbeiten unserer eigenen Gefühlswelt, wollen wir erreichen, dass, zumindest im Moment des Erklingens unserer Lieder, der Zuhörer aus dem Strom, der Flut der Zeit herausgerissen wird und zu sich finden kann. Unser Anspruch liegt in der Fähigkeit sich in den Liedern verlieren und auch wiederfinden zu können.

Obliveon: Denkt ihr, dass bei der heutigen Musiklandschaft innerhalb der Schwarzen Szene, wo Clubtauglichkeit offensichtlich oberstes Gebot ist, überhaupt noch eine intensive Auseinandersetzung mit den Texten einer Band stattfindet? Ist nicht auch innerhalb dieser Szene eine Tendenz hin zu einem, verglichen zu früheren Zeiten, positiveren Weltbild zu beobachten? Der Begriff der „Neuen Deutschen Todeskunst“, zu der ich Sinnflut im übrigen nicht zähle, ist schon seit Jahren eher Stigma denn Ausdruck eines Lebensgefühles.

Manuel:
Nein, die Auseinandersetzung mit den Texten nimmt definitiv immer mehr ab, zum Glück jedoch nur bezogen auf die Gesamtheit der Szene, die wächst und wächst. Ich meine damit, dass die, die bisher an den Texten der Musiker Teil genommen haben, oder sogar aufgrund dessen zu den Musikern gestoßen sind, auch weiterhin Gedanken an deren Wortexpressionen verwenden werden, doch kommen in einem ungleich größeren Maße immer mehr Menschen zu dieser Szene hinzu, denen das Ambiente und das Äußere wichtiger ist, als die eigentliche Aussage. Das positivere Weltbild, das du hier ansprichst, ist meiner Meinung nach eher eine zunehmende Oberflächlichkeit, die sich breit macht – Musik wird mittlerweile nun auch hier stärker als Masse produziert und noch viel stärker als Masse konsumiert, natürlich bleibt da die Aussage zurück. Eines ist jedoch sicher, wir werden uns dagegen wehren und „Sinnflut“ soll gegen diese Tendenz ein Gegenpol sein.

Magnus:
Und diese Tendenz ist nicht nur in der Schwarzen Szene zu bemerken! Von Jahr zu Jahr scheint das Ausbeuten einst eigenständiger, unabhängiger Musik gezielter immer gnadenloser zu werden. Das massenhafte Anbieten und extreme Kommerzialisieren diverser Szenen zieht natürlich immer Menschen an, denen, wie mein Bruder schon erwähnt hat, das Ambiente wichtiger ist, als die eigentliche Aussage. Das wiederum wird immer einen Teil des Gedankengutes und der Individualität der Szene zerstören.

Obliveon: Wodurch werden die Texte Sinnflut´s beeinflusst? Was inspiriert dich zu Texten wie „Ein ganzes Leben“, „Das Lachen“, „Im Anblick meines Augenblicks“ oder „Kalte Ohren“, die sich durchweg mit der Gefühlswelt ihrer Protagonisten oder dem erlebten Schmerz des Augenblicks auseinandersetzen?

Manuel:
Mich inspiriert das Leben, die Gefühle anderer und die meinigen. Die Texte für Sinnflut entstehen bisher jeweils für sich selber und sind von Anfang an meist frei vom Zweck der Verwendung. Ich schreibe sie einfach und anschließend veröffentliche ich sie da, wo sie ursprünglich auch hin gehören – in meine Gedichtbände. Irgendwann, wenn die Zeit reif ist (das kann nach ein paar Jahren, aber auch nach ein paar Wochen sein), findet dann der ein oder andere Text den Weg in die Werke Sinnflut´s.

Obliveon: Ihr habt innerhalb von gut 15 Monaten drei selbstproduzierte CD´s veröffentlicht. Aufgrund der Entfernung zwischen Leipzig und Stuttgart, wo ihr jeweils lebt, und der dadurch erschwerten Arbeitsweise ist dies ein stattlicher Output. Da ich nur „Band 3 – Das Vermächtnis“ kenne würde mich natürlich interessieren, wie ihr eure musikalische Entwicklung in diesem Zeitraum seht und wie die Resonanzen auf „Band 1“ und „Band 2“ ausgefallen sind?

Manuel:
Im Grunde haben wir erst mit diesem Album, dem 3. Band, wirklich begonnen, aktiv auf uns aufmerksam zu machen. Das hat ganz im Besonderen etwas mit der Entfernung zu tun. Doch überall dort, wo wir es vorher schon taten, erhielten wir mindestens Ermutigungen, vor allem aufgrund unserer Individualität, weiter zu machen. Und gerade unser Debüt-Album „Band 1 – Vergessene Melodien“ erreichte eine erstaunliche Nachfrage auf diversen kostenlosen Online-Servern.

Wahrlich ist es schwer auf eine so große Distanz ein solches Projekt am Laufen zu halten, aber wenn man nur stark genug will, funktioniert alles. Wozu gibt es denn schließlich Feiertage, Ferien und Urlaub?! Zu unserem musikalischen Werdegang ist folgendes zu sagen: Unserer Meinung nach haben wir bisher die stärkste Weiterentwicklung zwischen Band 2 und Band 3 vollzogen, wobei Band 3 eine stilistische Wanderung von Titel 1 „Ein ganzes Leben (Teil1)“ bis hin zu Titel 6 „Kristallkäfig“ bzw. Titel 7 „Sie“ vollzieht – also von reiner Sprache über klassische Instrumentierung bis hin zum erstmaligen Einsatz von E-Gitarren; von musikalisch grau bis emotional aufbrausend und musikalisch aggressiv instrumentiert. „Band 3 – Das Vermächtnis“ ist, wenn auch von der emotionalen Tiefe gleichbleibend, im Vergleich zu ihren Vorgängern instrumentell etwas abwechslungsreicher und vielleicht auch etwas klarer geworden.

Obliveon: Seht ihr Sinnflut als reines Studioprojekt an? Ihr habt bereits einen Auftritt bestritten und seid auf der Suche nach Musikern. Wie sind eure Pläne hinsichtlich einer Live-Präsentation?

Magnus:
Bei unserem ersten Live Auftritt haben wir vieles gelernt. Zum einen mit dieser doch sehr ungewohnten Situation umzugehen und das sie uns in ein ziemliches Fieber gestürzt hat. Zum anderen aber auch, dass wir für diesen Zeitpunkt noch nicht reif dafür waren. Deshalb ist es bisher auch erst bei einem Studioprojekt geblieben, doch wir sind uns sicher, dass das nicht mehr lange so bleiben wird!

Manuel:
Ja, wir arbeiten daran die Bühne zu erobern, doch bislang gestaltete sich dies gerade aufgrund der unterschiedlichen Wohnorte als sehr schwierig. Wir müssen uns selbst noch ein wenig gedulden, aber vorerst ist es wichtig, erst einmal einen Ort zu finden, an dem wir gemeinsam für längere Zeit bleiben können um auch live das übermitteln zu können, was wir auf den Alben zum Ausdruck bringen wollen. Geplant ist dabei in jedem Falle unter anderem eine Kombination aus Lesung, Hörspiel und Musikkonzert. Hier sollen außerdem weitere musikalische Stücke, die ich selber unter meinem eigenen Namen im Rahmen meiner Texte veröffentliche, zur Präsentation gelangen.

Michael Kuhlen
www.obliveon.de – 23.06.2002